"Willkommen in unserem Revier!" - Försterin Anja Wiese und ihre Mitarbeiterinnen, Wachtelhund Frieda (li.) und Münsterländerin Quinta, begrüßten die Besucher. // Foto: Ulrich Simons
16. November 2024
Damit Borkenkäfer und Sturm
nicht das letzte Wort haben ...
"Bürger*Innenpflanzung" (mit Gaga-Sternchen!!!) steht auf dem Schild am Parkplatz an der Eupener Straße. Ich folge dem dicken gelben Pfeil, und bei den ersten Schritten in den Wald setzt sich auch schon das Gedankenkarussell in Bewegung: Bei einer "Baumpflanzung" werden Bäume gepflanzt, bei einer "Reispflanzung" junge Reispflänzchen im Reisfeld. Was um Himmels Willen passiert bei einer "Bürger*Innenpflanzung"??? Ich bin gespannt.
100 Meter später bin ich beim Verlassen des hübschen Bauwagens am Wegesrand, in dem ein gemütlich bollernder Holzofen Forstamts-Mitarbeiter Nick Vondenhoff und seinen Kollegen Alexander Pick auf Betriebstemperatur hält, stolzer Besitzer einer "Forstnutzungsquittung" über 20 Euro, die mich zur Entgegennahme von "zwei Bäumen" nach weiteren 400 Metern Fußmarsch berechtigt.
"Zwei Bäume"? Mal schauen, wer mir zu dieser frühen Stunde beim Tragen hilft ...
Ein Festmahl für den Borkenkäfer
Wegen des großen Erfolges in den vergangenen beiden Jahren hatte die städtische Forstverwaltung am Samstag wieder zum kollektiven Aufforsten des Aachener Waldes geladen. Das Areal, um das es diesmal ging, lag an der Eupener Straße kurz vor dem Grenzübergang Köpfchen.
Früher war hier mal ein 6000 Quadratmeter großer Fichtenbestand, dann kamen diverse trockene Sommer, und die Borkenkäfer packten Messer und Gabel aus.
Stürme gaben dem angeschlagenen Wald den Rest, so dass am Ende nur Kahlschlag und Neuaufforstung übrigblieben. Beim letzten Akt am Samstag durften die Aachenerinnen und Aachener wieder mithelfen, und sie nutzten die Gelegenheit in stattlicher Zahl.
Rund 80 große und kleine Leute hatten sich im Vorfeld angemeldet, im Laufe des Tages kam es dann noch zu diversen Spontan-Pflanzungen. Am Ende verzeichnete die Statistik knapp über 100 Teilnehmerinnen und Teilnehmer, womit das Niveau der beiden Vorjahre wieder erreicht wurde.
Die nächste Generation: So sieht er aus, der Wald von morgen. Deutsche Eichen, frisch aus der Baumschule und gerade mal drei Jahre alt. Die "Pflanzberechtigung" kostete zehn Euro und war damit deutlich billiger als eine Tafel "Dubai Schokolade", die am Vortag in der Krämerstraße für 14,99 Euro verkauft wurde. // Foto: Ulrich Simons
Der Hinweis in der Einladung, man möge festes Schuhwerk anlegen, erweist sich als berechtigt. In tief ausgefahrenen Spurrinnen hat sich am Fuß des leicht geneigten Geländes das Wasser gesammelt, den Untergrund dazwischen als "fest" zu bezeichnen, wäre leicht übertrieben.
Am Pflanzplatz herrscht bereits reges Treiben. Revierleiterin Anja Wiese (29) erwartet uns gemeinsam mit den Forstwirten Ulrike Völkel, Dieter Kleiber und Leah Hellebrandt und zwei unfassbar gut erzogenen Hunden, die sich kaum noch halten können vor Begeisterung über die 400 Löcher, die die Truppe einen ganzen Tag lang mit dem "Pflanzfuchs" in den Hang getackert hat.
Von den Besuchern nehmen Frieda und Quinta keine Notiz, denn unter jedem Baumstumpf wartet eine spannende Geschichte für die feinen Nasen. Alles riecht nach Mäuschen. Toll!
Förster Marko Steinmetz und sein Gustav komplettieren die Runde. Auch der Münsterländer-Rüde hat die Ruhe weg und beeindruckt durch tadelloses Benehmen.
Statistische Waldbesitzer
Klaus Meiners, Leiter des städtischen Fachbereiches 36 "Klima und Umwelt", ist an diesem Samstag ebenfalls früh auf den Beinen und freut sich über den Tatendrang der Aachenerinnen und Aachener.
Er wartet mit einer erstaunlichen Zahl auf: "Jedem Aachener gehören statistisch 90 Quadratmeter Wald." Darauf war ich jetzt nicht vorbereitet. Ich hoffe, es bleibt bei den zwei Bäumen ...
Weitere "Mitarbeiter" treffen ein. Männer mit Spaten, Kinder mit Buddelhose und Schäufelchen, ganze Familien, ein Kinderwagen fährt sich im unwegsamen Gelände fest. Für die Kinder ist der etwas andere Vormittag im Wald ein tolles Erlebnis. Der braun-graue Hang füllt sich mit Farbtupfern.
Wegen des großen Andrangs wird im Mehrschicht-Betrieb gepflanzt. Wir sind 21 in der Frühaufsteher-Gruppe, ahnungslos und voller Tatendrang - eine brisante Mischung.
Schwer was los im Hang. Ab 9 Uhr herrschte im ehemaligen Fichtenbestand munteres Treiben. // Foto: Ulrich Simons
Anja Wiese schreitet daher erst einmal zur Einweisung der Tagespraktikanten. Seit 2019 ist die junge Försterin verantwortlich für die Forstamtsbezirke Adamshäuschen und Münsterwald West, insgesamt eine Fläche von rund zwölf Quadratkilometern.
"Wir stehen hier auf einer so genannten Kalamitätsfläche", erläutert sie, und ich muss bei dem Stichwort gleich an die höchste Erhebung meines Kopfes denken und finde, dass "Kalamitätsfläche" auch ein schönes Synonym für "Glatze" ist.
Die heißen Sommer der vergangenen Jahre haben ihre Spuren hinterlassen. In den trockenen Fichten hat sich anschließend der Borkenkäfer breitgemacht, "und was der nicht geschafft hat, hat der Sturm besorgt". Da blieb am Ende nur noch der Griff zur Motorsäge.
Die Natur braucht Hilfe
Neben dem geräumten Areal stehen zwar weitere Fichten in großer Zahl, und einige haben bereits schöne Fortschritte bei dem Versuch gemacht, das Gelände zurückzuerobern, aber derartige Monokulturen sind im Wald von Morgen nicht mehr erwünscht. Also kommen jetzt junge Eichensetzlinge in den Boden.
Das Problem mit der Neuanlage, so die Revierleiterin: "Von alleine schafft die Natur das nicht." Das hänge mit dem Gewicht der Samen zusammen. In unmittelbarer Nachbarschaft stehen zwar auch Eichen, aber Eicheln können nicht fliegen, sondern folgen mehr oder weniger der Schwerkraft, und das war's dann. Plumps, Aus, Ende.
Die Damen und Herren des Waldes hatten ordentlich Vorarbeit geleistet. Auch wenn in der Einladung noch der Hinweis gestanden hatte, eigenes Grabungsgerät mitzubringen, brauchte niemand zum Spaten zu greifen. Mit dem "Pflanzfuchs" (vorne) hatten die fleißigen Menschen jede Menge Löcher in den schweren Waldboden gestanzt. Da war die Arbeit schnell erledigt, und es blieb noch genug Zeit für ein Erinnerungsfoto. // Foto: Ulrich Simons
Im Forstamt setzte das große Überlegen ein: Welche Baumart bietet sich für den Standort als Alternative an? Welche Arten werden auch in den kommenden Jahren keine Probleme bekommen, wenn die Sommer heißer und trockener werden? Und dann sollte es auch noch eine heimische Sorte sein.
Die Frau auf dem 50-Pfennig-Stück
Die Wahl fiel am Ende auf den deutschesten aller Bäume, die Eiche, und wir hocken wenig später im Hang wie die junge Frau, die wir mehr als ein halbes Jahrhundert auf der Rückseite der 50-Pfennig-Münze in unseren Taschen mit uns herumgetragen haben. |
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2,5 Milliarden Mal wurde Gerda Johanna Werner (1914-2004) auf der beliebtesten deutschen Münze vor Einführung des Euro verewigt. Ihr Ehrengrab befindet sich auf dem Alten Friedhof in Oberursel im Taunus.
Das Maß aller Dinge: der Wurzelballen. Försterin Anja Wiese erklärt, worauf es ankommt. Wenn Wurzelgeflecht und Spatenblatt in etwa deckungsgleich sind, hat das ausgehobene Loch die richtige Größe. // Foto: Ulrich Simons
Was wir von Anja Wiese lernen: Die jungen Eichen, die die ersten drei Jahre ihre Lebens in einer Baumschule zugebracht haben, brauchen ein wenig Liebe und Zuwendung. Da lobe ich mir die Tulpen in meinem Garten: Loch auf, Zwiebel rein, Loch zu - fertig.
Bei den jungen Bäumchen fällt der erste Blick auf das feine Wurzelgeflecht. Die feinen Lebensadern der Pflanze sind das Maß aller Dinge.
Spaten und Wurzelballen im Zusammenspiel
Einfache Faustregel: Wenn der dreidimensionale Wurzelballen in etwa so groß ist wie das Blatt des Spatens (und umgekehrt), hat das Loch den richtigen Durchmesser. Jetzt braucht es nur noch die passende Tiefe, aber auch das kann man schön am Blatt des Spatens ablesen.
Vor allem für Kinder war der Morgen im Wald ein Riesenspaß. Viele der kleinen Profis hatten sogar ihr eigenes Werkzeug mitgebracht. // Foto: Ulrich Simons
Also kann es jetzt losgehen?
Noch nicht ganz. Wichtig ist auch, dass der die Pfanze tief genug im Boden steckt, und der Wurzelhals komplett in der Erde sitzt. (Der Wurzelhals ist die Stelle, wo das Rotbraun der Wurzeln in das Hellgrau des jungen Stämmchens übergeht.)
Im übrigen hat die Wurzel der Eichel richtig menschliche Züge: Auch sie ist nicht gerne zusammengestaucht.
Vorsicht vor dem "Pflanzkeller"!
Es geht weiter mit der Wurzelbehandlung: Steckt das Pflänzchen im Loch, kann man vorsichtig von den Rändern die ausgehobene Erde wieder nachschieben. Wichtig: Hin und wieder mal am Stämmchen rütteln, damit sich kein so genannter "Pflanzkeller" bildet, ein Hohlraum unterhalb das Wurzelballens. Danach: "Andrücken, auch mal antreten und nicht zimperlich sein!"
Und dann geht es tatsächlich mit Hallo los, und große und kleine Menschen stiefeln nach der "Baum"ausgabe in den Hang auf der Suche nach einem geeigneten Loch, was angesichts der Fülle des Angebotes doch mitunter eine schwierige Entscheidung ist.
Man sucht nach Landmarken, alten Baumstümpfen. Schließlich will man sein Bäumchen ja nächstes Jahr auch noch wiederfinden, und meine Frage nach den Schildchen "Dieser Baum gehört ..." ruft allenthalben nur mitleidiges Lächeln und Kopfschütteln hervor.
Einer der wenigen Fälle, wo nachtreten ausdrücklich erlaubt ist, damit das junge Bäumchen festen Halt im Boden bekommt. Aber ganz vorsichtig, damit die empfindlichen Wurzeln nicht beschädigt werden. // Foto: Ulrich Simons
Jetzt braucht es vor allem Geduld. Denn die Neupflanzungen vom Samstagmorgen werden voraussichtlich erst in 80 bis 100 Jahren erntereif sein. Oder noch später, wie zum Beispiel die Nachbareichen, deren Alter Försterin Anja Wiese auf ca. 150 Jahre schätzt.
Aber das müssen dann andere übernehmen.
Ich schau mir das in 100 Jahren nur noch von oben an ...
Autor und Gemahlin beim Selbstversuch. Fazit: War ausgesprochen informativ und hat richtig Spaß gemacht. Nächstes Jahr gerne wieder. // Foto: Ulrike Völkel
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